Jerusalem nach Wanganui
Tag 64: Jerusalem - Riverside Lodge
Am Tag vorab wurde uns angekündigt, dass für den Rest der Tour keine Stromschnellen mehr auf uns warten. Simon und ich waren doch ein klein wenig enttäuscht darüber. Eva und Sunny Jim nahmen das eher erleichtert zur Kenntnis, nachdem sie am Tag vorher zweimal gekentert waren. Wir fuhren alle wieder etwas versetzt los mit einem letzten Blick auf das Dörfchen Jerusalem.
Nur kurz darauf wurde es interessant, als wir von weitem auf einer Flußbank schon Thore und Stefan mit der Kamera in der Hand stehen sahen...da kam wohl doch noch was und sie warteten, wie der Rest von uns sich mit der Welle schlagen wird...immer diese Katastrophentouristen ;-)
Bei uns lief es gut - diesmal mit Simon am Steuer. Vorbildmäßig fuhr er uns erst ins große V der Strömung und steuerte das Kanu direkt danach soweit nach rechts weg, dass wir nicht durch die große Welle fuhren sondern knapp daneben vorbei. Wir mussten nicht mal Wasser aus dem Boot schippen. Für alle Zuschauer natürlich unglaublich langweilig :)
Danach wurde es allerdings wirklich ruhiger. Es gab kleinere Stromschnellen, deren Abstand zueinander immer größer wurde. Dazwischen hieß es paddeln oder eben treiben lassen.
Ich mühte mich vorne wieder mit meinem Paddel ab. Wie bereits an Tag 2 wurde mir nach kürzester Zeit mein Arm schwer. Mir kam das immer noch seltsam vor, nachdem das hintere Paddel ja doch um einiges länger ist und ich entgegen zu Simons anfänglicher Annahme auch hinten gut mitpaddelte :P Simon kam die Idee, mal das Paddel im Wasser auf die Balance zu testen. So ließen wir unsere Paddel senkrecht ins Wasser gleiten und siehe da - mein Paddel versank fast auf zwei Drittel bevor es wieder hochtrieb. Bei Simon kam der Effekt schon viel zeitiger. Mein Paddel war deutlich schwerer. Bei genauerem Blick auf das Holz zeigten sich auch einige Reparaturstellen. Scheinbar war das Paddel schonmal gebrochen und gefixt worden und dabei ist wohl Wasser ins Holz gedrungen. Wir wussten, dass in einem der anderen Boote noch ein Ersatzpaddel war. Das schnappten wir uns und damit ging es auch vorn mit nicht mehr ganz so schnell ermüdenden Armen weiter...theoretisch.
Wenn der Wind nicht gewesen wäre. Am späten Vormittag setzte plötzlich eine Brise ein, die uns in Erinnerung brachte, dass wir uns dem Meer näherten. Dank Fluss, der hier nicht mehr so schnell floss und Wind, der entgegen der Fahrtrichtung blies, mussten wir uns teilweise ganz schön ins Zeug legen, um nicht stromaufwärts zu treiben. Wir versuchten das Kanu immer möglichst nah am Ufer zu halten, da das meist noch etwas windgeschützter lag. Gelang uns das nicht und es trieb uns weiter in die Mitte, hatten wir teilweise das Gefühl, wir sind gerade beim Hochseepaddeln.
Der Wind begleitete uns den ganzen Tag - mal mehr, mal weniger. Der Vorteil war allerdings, dass es so keine Sandfliegen gab, die mir in den letzten Tagen wieder ganz schön zugesetzt hatten. Man merkt zwar meist den Biss der kleinen schwarzen Biester und erwischt sie, bevor sie wegfliegen können. Am nachfolgenden Juckreiz ändert das wenig. Gerade in der letzten Nacht bin ich wieder mehrmals aufgewacht, weil die Bisse an Beinen und Füßen so stark gejuckt haben und mein Anti-Itch-Stift leider an dem Tag alle geworden ist. Und auf der Südinsel soll es noch schlimmer sein...ich freu mich drauf...
Im Laufe des Tages merkte man, wie sich die Landschaft um uns herum weiter änderte. Zu Beginn der Tour waren wir in einer Schlucht - die Seiten gesäumt von Regenwald und Felsformationen. Jetzt wurde das Gebiet um den Fluss breiter und flacher und man sah Weiden mit Kühen, Schafen und sehr häufig auch wilde Ziegen die Hänge entlang laufen.
Nach 35 Tageskilometern kamen wir an einem kleinen Schild an, was uns zur Riverside Lodge wies. Wie auch am Tag zuvor hatten wir nichts vorgebucht. Die Besitzer waren zufällig da und begrüßten uns auf dem Weg zur Lodge. Sie bauten gerade an zwei weiteren Bungalows, die in ein paar Tagen fertig gestellt werden sollen. Außer uns war heute niemand da, also konnten wir unsere Zelte direkt vor der Lodge aufstellen. Es gab noch eine überdachte Picknickecke und eine Dusche mit Heißwasser. Manche von uns waren fast enttäuscht, dass sie so keinen neuen Rekord an Tagen ohne Dusche aufstellen konnten. Für Simon und mich war das nach 6 Tagen Wäsche im Fluss oder aus unserem Waschbottich eher eine willkommene Abwechslung.
Nachdem wir unser Zelt aufgebaut hatten, gab es erstmal eine Portion Nudeln, bevor Simon sich das erste Mal auf dem Weg an die Zubereitung von https://hikingbug.org/bannock/ machte. Wir hatten Mehl gefunden, in dem das Treibmittel schon drin war - noch ein paar Sonnenblumenkerne und Wasser dazu und ab in die Pfanne damit. Einfach lecker. Unsere Mitwanderer schlugen schon vor, dass wir doch eine Bäckerei auf dem Trail aufmachen sollten. Später spielten wir dann alle noch 'Die Werwölfe vom Düsterwald'. Super Spiel in einer großen Gruppe. Leider gewannen an diesem Abend immer die Werwölfe.
Tag 65: Riverside Lodge - Wanganui
Auch der nächste Morgen startete in der Gruppe wieder entspannt. Wir waren ja schließlich gefühlt auf Trail-Urlaub ;) Das Wetter versprach gut zu werden. Blauer Himmel und der Wind hielt sich an diesem Morgen stark zurück.
Als wir alle fast fertig mit unserem Frühstück waren, kam die Besitzerin mit einem Korb um die Ecke. Sie hatte Scones - englisches Teegebäck - für die Schaafscherer gebacken und für uns gleich eine Ladung mit. Dazu gab es Butter und Marmelade. Wir fanden den Platz sowieso alle schon total super - jetzt hatten die Besitzer aber endgültig alle Wanderer für sich gewonnen. Eva hinterließ daraufhin in der TA-App, in der man sich Übernachtungsmöglichkeiten anzeigen lassen kann, den Kommentar 'Stay at this place for 4 nights and pretend you have done the River'.
Danach starteten wir dann alle wieder je nachdem wie schnell die Boote beladen waren. Immerhin lag heute die zweitlängste Etappe des Kanu-Trips vor uns. Das Wetter hielt. Sonnig und wenig Wind. Der Fluss wurde immer breiter.
Zur ersten Snackpause ließen wir uns nochmal alle gemeinsam auf dem Fluss treiben. Danach fuhr wieder jedes Boot für sich. Im Laufe des Tages wurde das Ufer immer flacher und die ein oder anderen Häuschen waren inzwischen auch zu sehen.
Mittags legten wir eine Pause ein, da man am Rande des Flusses bereits Gras unter der Wasseroberfläche sehen konnte. Wir hatten den Teil des Whanganui erreicht, der von Ebbe und Flut beeinflußt wird. Höhepunkt der Flut war kurz vor eins und wir wollten abwarten, bis die Ebbe einsetzt und uns in Richtung Wanganui - unserer Endstation - unterstützen konnte. Ganz so lange hielten wir es dann aber nicht aus, da die Sandfliegen auch bemerkt hatten, dass heute weniger Wind war und uns gemeinschaftlich auffrassen.
Von nun an verlief in Flussnähe parallel eine Straße. Irgendwann fühlte es sich wie ein Wandertag auf der Straße an. Man kam zwar voran, die Landschaft war aber nicht mehr spektakulär und man wollte eigentlich nur noch ankommen. 5 Tage Kanufahren waren definitiv ausreichend.
Gegen 3 erreichten wir dann eine Kurve hinter der wir von David - unserem Kajakfahrer - zur Rampe des Holidayparks von Wanganui gewunken wurden. Yeah - angekommen!!
Wir entluden die Kanus und warteten, dass das Boot von Eva und Sunny Jim auch noch ankam. Ich schlug vor, am Abend zusammen zu grillen. Es waren gleich alle begeistert von der Idee. Also schnell die Bungalows oder Zelte beziehen und danach bot der Zeltplatzbesitzer an, uns in die 5 km entfernte Stadt zum Supermarkt zu fahren. Dort gab es dann Speedo-Einkaufen. 7 Leute kauften innerhalb einer halben Stunde mit 5 Minuten Vorabstimmung für das abendliche Barbecue ein. Und keiner hatte vorher etwas gegessen. Egal - es war super. Fleisch, Fleisch, Fleisch, Gemüse, Salat, Obst, Fleisch, Bier. Wir hatten tatsächlich von allem etwas...und von allem etwas mehr.
Nach 5 wirklich schönen Tagen in dieser super Gruppe war es wie vorgezogenes Weihnachten.
Tag 66-71: Wanganui
Für uns hieß es in Wanganui Pause einlegen. Simons Bein ging es auch nach 5 Tagen im Kanu nicht wirklich besser. Scheinbar hatte es sich die Entzündung in seinem rechten Schienbein so richtig gemütlich gemacht. Er hatte schon einige Tage Tabletten eingenommen, aber keine wirkliche Verbesserung gemerkt. Allerdings hatte er das Bein ja auch nur bedingt ruhig gestellt.
Also ging es für uns am ersten Tag in der Stadt direkt mal wieder in die Apotheke. Diesmal Voltaren Creme kaufen. Danach wollten wir unser Paket in der Post abholen. Leider hatte ich meinen Ausweis im Bungalow liegen lassen. Und ohne Lichtbildausweis gaben sie das Paket nicht heraus. Hier ärgerte ich mich gescheit über mich selbst und dass der Zeltplatz so weit draußen lag. Die Zeltplatzbetreiber fuhren uns zwar, aber man wollte das ja auch nicht ausreizen.
Nachdem Simon und ich aber am Abend DEN Kinogang geplant hatten (Star Wars....yeah), konnten wir unsere Box eben dann erst abholen. Also machte jeder in der Stadt seine Einkäufe und wir fuhren wieder alle auf den Zeltplatz zurück und machten uns daran, die Reste des Vorabends zu essen. Währenddessen warfen wir uns wieder in unser Wäsche-Wasch-Outfit und ließen die Maschinen für uns arbeiten.
Absolut pünktlich war der Trockner fertig, wir wurden wieder in die Stadt kutschiert, holten die Kiste, gingen ins Kino und waren noch vor Sonnenaufgang wieder auf dem Zeltplatz...so wie sich das für gute Wanderer gehört.
Eva, die im wahren Leben Ärztin ist, versorgte Simon später noch mit etwas stärkeren Mitteln gegen seine Sehnenentzündung. Für sie, Stefan, Thore und Sunny Jim ging es am nächsten Tag auf dem Fahrrad weiter in Richtung Palmerston North. Die 100 km Wanderung entlang der Straße wollten sie sich sparen.
Wir fuhren nochmal mit Zeltplatztaxi in die Stadt - letzte Einkäufe, bevor auch hier die Läden für kurze Zeit über Weihnachten schlossen. Außerdem wollten wir eines der japanischen Restaurants der Stadt probieren. Nachdem wir schon einiges an Unterstützung bekommen haben, in der wir explizit zum Essen gehen aufgefordert wurden (Danke dafür!!), mussten wir das nutzen.
Wir verbrachten Heiligabend dann wieder auf dem Campingplatz. Es gab Lamm (wie sich das für Neuseeland gehört) - leicht improvisiert aber sehr lecker. Und Bescherung mit inzwischen wichtigem Pflegemittel für Simon :-)
Den Rest der Feiertage verbrachten wir in Wanganui mit gespaltenen Gefühlen. Wie immer war es schön, Zeit und Ruhe zu haben, um sich um den Blog, die Comics und die Fotos zu kümmern. Auf der anderen Seite wollten wir wirklich gerne weiter - was weniger an den bevorstehenden 100 km entlang der Straße lag. Es war einfach unglaublich deprimierend, herumzusitzen und nicht zu wissen, wann und wie es weiter ging.
Hier stellten wir auch zum ersten Mal seit unserer Ankunft den Thru-Hike in Frage. Sollten wir wirklich jeden Meter laufen - auch mit allen Straßenabschnitten? Wollen wir doch ab und an vom Weg abweichen und beispielsweise in andere Gegenden hitchen, um dort abseits vom TA wandern zu gehen? Sollte ich den nächsten Abschnitt allein gehen und wir treffen uns dann in Palmerston North? Haben wir es übertrieben und sind manche Abschnitte einfach zu schnell für uns gelaufen? Sollen wir eine längere Pause einlegen und fahren noch ein wenig mit dem Bus durch die Nordinsel?
Wir wollten die Idee Neuseeland in seiner Länge zu durchwandern noch nicht aufgeben. Aber die Option stand zum ersten Mal im Raum.